Zwischen Hochhausfassaden und Stahlmaskeraden,
in einem gläsernen Gang, umhüllt von Formen und Farben,
wo getaucht in den Glanze aus künstlichem Licht
eine alles verheißende Zukunft sich bricht,
und ihre Silhouette ganz leis über die Oberflächen huscht,
während jeder ihrer Schritte in der Gewohnheit verpufft,
da bleibt sie plötzlich stehen, und unbeweglich und stumm
stellt sie die alles vernichtende Frage: Warum?

Und sie denkt: Das ist dumm! Denn noch nie hat sie das Weil interessiert.
Während sich das einfache Gemüt in seinen Zweifeln verliert
und auf gesetzlosen Straßen im Feinstaub verirrt,
haben sie im Geheimen ein neues Sein etabliert.
Ihre Vision manifestiert, wie sie aus bloßen Gedanken
unendliche Welten erschaffen, ganz ohne die Schranken,
mit der die Natur über Äonen die Zügel gehalten.
Doch nun kommt die Zeit, da trennt sich das Neue vom Alten.

Eine Revolution ist in Gang, schon lang währte der Kampf.
Doch sind Flora und Fauna längst in Ketten gebannt.
Gegossen in den Beton einer Gleichgültigkeit
gegenüber dem Schöpfer, der die Zeichen der Zeit
nicht erkannt und sogleich dann vom Throne gestoßen.
Er zeterte und schrie, doch es war um ihn verloren.
Der Fortschritt ist stärker und sein eiserner Griff
zeigt wieder mal, wie der Lehrling den Meister übertrifft.

Er konnte Krankheiten kontrolliern und Katastrophen abwenden.
Alles hatte zu dienen dem Wohle des Menschen.
Und das tat es schon bald, denn wie sollte es auch
widerstreben einem Geiste, der das Scheitern fast braucht?
Und der wieder und wieder und wieder versucht,
bis er letztendlich das hat, was sein Wille gesucht.
Und dann schuf er die Welt nach seinem eigenen Bilde:
praktikabel und einsam in alles umreißender Stille.

Wie das möglich gewesen? Ganz einfach: Vereinfachung.
Reduktion der Risikofaktoren, war da gleichsam kein Grund
für Artenvielfalt und die Kraft der Natur,
denn wo sie nicht nützt, ja, da stört sie doch nur.
So gedrängt ins Korsett dieser Neuzeitlichkeit,
wurde sie blass und ganz dürr und ihr freundliches Kleid
bekam Löcher und Risse und schließlich nahm man sie dann
schon gar nicht mehr wahr, wenn sie am Straßenrand stand.

Und weil dem Menschen nun doch etwas fehlte, ja, da kamen sie drauf:
Was, wenn wir das alles im Digitalen nachbauen?
Dann hätten wir die Kontrolle über jede kleinste Kleinigkeit.
Und nach Jahrtausenden endlich herrscht Einigkeit
zwischen Mensch und Natur, ja, wer hätte gedacht,
dass völliges Loslassen erst all die Kräfte entfacht,
auf dass die Fantasie uns dann führt in eine Ära des Glücks?
Wir sind fast schon am Ziel und es scheint so, als gäb‘s kein Zurück.

Aber nun steht sie hier, inmitten all der Formen und Lichter.
Ihr Gesicht im Glas schaut sie an und sie ist plötzlich nicht sicher,
ob die Vorstellung wirklich reicht, wenn alles andere fort.
In ihrem Kopf hallt es wider und wider, dieses einzelne Wort:
Warum?
Und lässt sie nicht los, denn sie wüsste nicht einmal, wie
sich noch retten, wenn etwas schiefläuft, denn es gibt keine Sicherheitskopie.
Wenn sie jetzt gehen, dann ist diese Welt wohl für immer verbrannt.
Und sie hat Angst, denn sie weiß nicht einmal mehr, ob sie jetzt noch die Richtung ändern kann.

Und was sollte sie denn auch tun, sie als nur eine von vielen?
Einfach anfangen, die Welt, wie sie mal war, zu restaurieren?
Rasen ausrollen, Bäume pflanzen, Blütenstaub pusten?
Sich mit Schildern vor den Konzern stellen und Proteste ausrufen?
Das gab‘s doch schon längst und ganz ehrlich, was hatten sie denn erreicht?
Es wird Zeit, etwas zu tun, und jetzt endlich ist sie dazu bereit.
Also wischt sie das lästige Wort mit einem Lächeln zur Seite
und geht weiter durch den Gang, auf dass das Schicksal dieser Welt sich nun entscheide.

Was sie nicht weiß: Ganz in der Nähe, da bahnt es sich seinen Weg:
ein kleines Pflänzchen, so zart, dass es die meisten schnell übersehen.
Während die Welt sich dreht und dreht und dem Wandel der Zeit unterwirft,
sieht es so vieles kommen und gehen und steht doch weiterhin hier.
Es hat gelernt zu warten, Jahre und Jahrtausende auf seinen Thron.
Und weiß, dass einst die Mühen der Menschheit längst vergessen sind.
Es braucht nicht viel zu tun, denn manchmal reicht dafür ja schon
der Lauf der Zeit, gepaart mit dem Flügelschlag eines Schmetterlings …

 

Backround:

In der ersten Version habe diesen Text geschrieben für eine Veranstaltung zum Projekt „Hotspot 22: Wege zur Vielfalt – Lebensadern auf Sand“ im Kreis Steinfurt. Seitdem ist er mit einigen Abwandlungen zu einem meiner Lieblingstexte geworden, den ich auch immer wieder bei Veranstaltungen rund um die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit präsentieren darf.