Vater und Sohn entwerfen in der Werkstatt gemeinsam ein Haus -Architekt Titelbild

Mark ist Bauarbeiter. Er weiß, dass das kein besonderer Beruf ist, aber er ist glücklich damit. Er hat alles, was er braucht, macht seine Arbeit gerne und lebt so zufrieden mit seiner kleinen Familie. Seinen kleinen Sohn Tim nimmt er aber nie mit auf die Baustelle, weil er denkt, das ist nicht die richtige Umgebung für einen kleinen Jungen. Und er weiß ja auch, wie seine Kollegen so drauf sind. Die würden Tim bestimmt allerhand Blödsinn beibringen. Und wenn Tim fragt, dann erzählt er ihm, dass er Häuser baut. Und dass er das sehr gerne macht.

Dann – kurz nach seinem sechsten Geburtstag – sagt Tim, er möchte jetzt auch Häuser bauen und Architekt werden wie sein Vater. Als Mark das hört, schluckt er und guckt missmutig drein, aber fürs Erste denkt er nicht weiter darüber nach.

Der Papa-Berufe-Tag …

Doch zwei Jahre später kommt Tim aus der Schule nach Hause und erzählt, dass sie bald den Papa-Berufe-Tag haben, wo ein paar der Väter vorstellen sollen, was sie arbeiten. Tim hat schon gesagt, dass sein Papa vorbeikommt und zeigt, wie er Häuser entwirft. Mark versucht irgendwie aus der Sache herauszukommen, aber seine Ausreden klingen alle blöd und außerdem schaut sein Sohn so traurig, als er sagt, dass er wahrscheinlich nicht kann. Also fasst er sich ein Herz und überlegt, wie er die Situation retten kann. Im Internet informiert er sich, er holt sich Bücher aus der Bücherei und bis spät in die Nacht hinein überlegt er sich, wie er möglichst glaubwürdig vor den Schülern zeigen kann, dass ER Architekt ist.

Er hat sogar Spaß daran und schließlich überlegt er sich ein Bauprojekt, das er für die Stadt macht. Ein kleines Museum. Er entwirft Skizzen, überlegt sich genau, wie alles aussehen soll und warum und am Ende hat er ein tolles Gebäude konzipiert. Ein richtiger Architekt würde wahrscheinlich mit dem Kopf schütteln, aber als Mark die Skizzen seiner Frau zeigt, ist sie gerührt.

Die Präsentation in der Schule läuft wunderbar und Tim ist riesig stolz auf seinen Papa. Die Lehrerin ist auch sehr angetan und die anderen Schüler beneiden Tim ein bisschen.

In den Fußstapfen des Vaters

In den nächsten Jahren redet Tim immer öfter von seinem Traum, Architekt zu werden. Er möchte auch mal mitkommen zu Papa ins Büro, um noch mehr von seiner Arbeit zu sehen. Mark sagt, das geht nicht. Doch ab und zu bringt er Zeichnungen mit, die er sich zwischendurch überlegt hat, um Tim wenigstens ein bisschen was zu zeigen. Er bringt es einfach nicht übers Herz, die Wahrheit zu sagen. Aber er weiß ja auch, dass er nicht ewig so weitermachen kann. Dass irgendwann der Tag kommt, an dem er Tim die Wahrheit sagen muss. Er schiebt diesen Moment so lange wie möglich auf.

Doch irgendwann drängelt Tim so sehr, dass Mark nicht mehr anders kann. Er überlegt einen kurzen Moment, sieht traurig aus – und dann bringt er es endlich heraus: Er ist bloß ein einfacher Bauarbeiter. Er baut Häuser, ja, aber es sind immer andere, die sie sich ausdenken. Er wollte Tim nicht enttäuschen. Aber er ist froh, dass es nun endlich raus ist.

Tim ist kurz überrascht, braucht einen kurzen Moment, um zu verstehen. Aber dann lächelt er und sagt: Aber Papa, das ist doch prima! Dann kann ich mir die Häuser ausdenken und du baust sie. Dann bauen wir gemeinsam Häuser.

Und so kommt es dann schließlich auch.

Als Tim mit seinem Architekturstudium fertig ist, gründen sie zusammen eine Firma. Tim konzentriert sich auf die Entwürfe und immer wieder fragt er dabei natürlich auch Mark nach seinen Gedanken – schließlich hatte der damals schon einige richtig gute Ideen. Und Mark weiß auch genau, wie später alles umgesetzt werden muss. Er kennt sich viel besser mit dem eigentlichen Bau aus und gibt so immer die richtigen Anweisungen an die Mitarbeiter. So können sie sich beide auf ihre Stärken konzentrieren und sind mit der Firma sehr erfolgreich.

Und eines Tages kommt Tim zu seinem Papa und legt ihm einen Haufen Zettel auf den Schreibtisch. Mark kommen die Blätter irgendwie bekannt vor, aber er braucht einen Moment, um zu realisieren, um was es hier geht. Dann fällt der Groschen und Mark ist wie gebannt. Alte Erinnerungen werden wach und für einen Moment fühlt es sich so an, als wäre Tim wieder ganz jung und Mark sieht diesen strahlenden Blick in seinen Augen. Die Augen eines Sohnes, der stolz ist auf seinen Papa. Und Tim ist wirklich stolz. Er hat sich die Skizzen noch einmal genau angeguckt und sich schon erste Gedanken dazu gemacht. Hier und da hat er noch ein paar Ideen und so manches muss natürlich korrigiert werden, damit das Gebäude später auch wirklich hält. Aber das Grundkonzept ist toll, und das sagt er seinem Vater. Und drei Jahre später weihen sie dann gemeinsam das neue Stadtmuseum ein und zur Eröffnung erzählt Tim die Geschichte seines Vaters, der Bauarbeiter ist – aber in Wahrheit auch der beste Architekt, den er kennt.

Dieser Text ist ursprünglich entstanden als kleiner Gedanke während eines Spaziergangs – und plötzlich hatte ich eine Geschichte, die mich nun  schon seit einer ganzen Weile begleitet und die ich sehr gerne lese, auch wenn sie eigentlich nie für die Bühne gedacht war.

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